Über mein anonymes Feedbackformular ist kurz nach den letzten Staatsprüfungen ein Feedback eingegangen, das mich zum Nachdenken gebracht hat. Dabei geht es nicht um meine Person, sondern um ein augenscheinliches strukturelles Problem.
18 Montage Leistungszeit
Wer den Artikeln hier im Blog folgt, der hat sicherlich schon mitbekommen, dass ich ein Verfechter der Trennung von Lern- und Prüfungszeit bin. Für alle, die nicht mit im Boot sind – in der Nussschale:
- Lernzeit: Fehler machen, ausprobieren und wertvolles Feedback bekommen und sich dadurch entwickeln.
- Prüfungszeit: Zeigen was man kann, unter Druck stehen und bewertet werden.
Nun erreichte mich die oben genannte Nachricht, dass man – egal wie einzelne Personen im System es sehen – im Prinzip immer unter dem Deckmantel der Bewertung steht, solange man sich im Referendariat befindet.
- Man wird ständig beobachtet.
- Man wird ständig beurteilt.
- Die Wege, wie man bewertet wird, sind häufig nicht transparent oder vage.
- Man weiß nicht immer wer an einer Bewertung beteiligt ist oder nicht.
Was hat das zur Folge?
Die Referendar:innen stehen 18 Monate unter einem ständigen Leistungsdruck, der sich wie eine langzogene Prüfung anfühlt.
Mit allem was dazu gehört:
- Aufgeregtheit
- Schlafmangel
- Magenkneifen
- Kopfschmerzen
- etc.
Kein Wunder, dass Lydia mit Ihrem Locker-Lehrer-Workbook Erfolge feiert, wenn man sich darüber bewusst wird, was das für Körper und Psyche bedeutet. Die Referendar:innen greifen somit gerne zu guten Möglichkeiten, ihr Selbstbewusstsein aufzubauen, ohne vor den an der Ausbildung beteiligten Personen vermeintliche Schwäche zu zeigen.
Mein Nervenkostüm
Ich habe vor einigen Wochen eine Rede vor einem fremden Kollegium halten dürfen. Die Rede war ordentlich geplant, vorbereitet, mehrfach gehalten, aufgenommen und wieder umgebaut, so dass ich bereits 14 Tage vor dem Einsatz sehr sicher war, was ich wann und wie sagen werde.
Wenn ich mir nun vorstelle, dass ich ständig vor einer solcher Aktion stünde, die immer von anderen Kriterien abhängt, andere Erwartungen an mich hat, die nicht immer transparent gestaltet sind und ich wüsste, dass im Zweifel jeder Einsatz mein zukünftiges Leben nachhaltig verändern kann, dann wäre ich mir sicher, kurz vor dem Nervenzusammenbruch zu stehen.
Die 18 Monate, die gar keine 18 Monate sind…
In meinem Referendariat hatte ich das Glück, von Menschen betreut zu werden, die eine Haltung an den Tag legten, die mir ein solches Gefühl der ständigen Kontrolle und ständigem bewertet zu werden, nicht gaben. Außerdem hatte ich noch 24 Monate Zeit, mit der Rolle als Lehrperson zu verschmelzen. In Zeiten in denen in vielen1 Bundesländern der Vorbereitungsdienst auf 18 Monate gekürzt wurde und die neuen Kolleginnen und Kollegen somit teilweise nach 14 Monaten Vorbereitungsdienst Ihre Prüfung ableisten müssen, sind natürlich auch die Bewertenden gefragt, die sich in der kurzen Zeit ein umfassendes Bild machen müssen. Somit kann man verstehen, dass die wenigen Momente, in denen sich die Lehrkraft in Ausbildung zeigt, in die Waagschale geworfen werden.
- Sind also die 18 Monate Ausbildungszeit keine echte Ausbildungszeit, sondern eher 18 Monate Leistungszeit?
- Zeigt man in den 18 Monaten immer nur das, was man schon kann, ohne sich wirklich entwickeln zu können?
- Warum machen wir diese Lippenbekenntnisse, in dem wir den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst sagen, Sie sollen den Schülerinnen und Schüler eine angstfreie Atmosphäre schaffen, damit das Lernen gelingen kann und in der Ausbildung der Kolleginnen und Kollegen legen wir eine Struktur an, die exakt das Gegenteil vorlebt.2
Umgang mit der Situation
Irgendwo in meiner Filterbubble habe ich letztens einen Spruch aus der japanischen Kampfkunsttradition gelesen:
Ich möchte, dass alle Referendare sich dieses Zitat über den Schreibtisch hängen. An alle Referendar:innen da draußen, die das Gefühl haben in einer langgezogenen Prüfung zu sein:
- Bleib Du und verdrehe Dich nicht!
- Bleib offen und verändere Dich!
- Befrage Deine Schülerinnen und Schüler zu Deinem Unterricht – das sind die wahren Spezialisten!
- Plane Deinen Unterricht immer3 so, dass Du nach dem Unterricht in den Spiegel gucken kannst und Dir selbst sagen kannst, dass Du alles so gut Du kannst gemacht hast.
- Passe Deinen Unterricht nur nach den Vorlieben der Beobachtenden an, wenn Du der festen Überzeugung bist, dass das was Du tust, den Lernenden hilft.
- Spiele mit den didaktischen Modellen, den Methoden herum. Probiere aus und reflektiere!
Am wichtigsten im Unterricht sind noch immer die Lernenden und nicht die Beobachtenden!
- Wenn nicht sogar fast allen. [↩]
- Hier nochmals der Hinweis auf: Karl Valentin [↩]
- Also egal ob Du alleine bist, ob eine Mentor oder eine Mentorin dabei ist, ob die Schulleitung oder eine Seminarleitung dabei ist. [↩]
Ich habe heute noch KollegInnen, die wahlweise das Grausen oder das Zittern bekommen, wenn der/die alte Fachleiter/in das Lehrerzimmer betritt. Schlimm, wenn an einer pädagogischen Institution solche Zustände herbeigeführt werden.
Toi, toi, toi! Ich hatte gute Fachleiter!
Es ging in der Rückmeldung nicht nur um die Seminarleitung, sondern im Grunde um alle an der Ausbildung beteiligten Personen.
Und ich bin mir nicht immer sicher, ob es die Institution oder die Regularien sind, die diese Angst erzeugen.
Danke für den Kommentar: Es leben die Blogs!
Tja… das spricht mir schon aus der Seele und ist mein größtes Problem als Referendarin. Ich fühle mich einfach permanent beobachtet, egal ob ich mal einen „frechen Kommentar“ mache oder mit Kollegen „rumalber“, manchmal denke ich im Nachhinein „ob das jetzt so klug war, nachher schreibt derjenige ein Gutachten über dich“…
Vom Unterricht ganz zu schweigen. Die Fachleiter*innen sind wohl darauf geeicht möglichst wenig transparent zu sein („ne, eine gute Ausarbeitung darf ich Ihnen nicht zeigen, das ist ja Ihre eigene Leistung“ – okay, ich dachte wir sind Pädagogen und wissen das man (auch) vom guten Beispiel lernt) und sogar eine Verschleierungstaktik zu fahren („Ja woran das jetzt genau lag, kann ich nicht sagen, probieren sie es mal anders“ – hä?).
Die Leute, die einen unterstützen sollten, tun es einfach nicht (Kernseminarleiterin, nach Gespräch zu schwierigen Kollegen: „Sie befinden sich nicht in der Situation, andere zu kritisieren“… what the fuck.)
Aber nun gut, auch 60 Stunden Wochen werden als „normal“ abgetan und „mal nicht schlafen“ zeigt eben nur, „wie man für eine Sache brennen kann, das ist so toll“.
Es läuft einiges schief, der Unterricht oder gar lernen wird total vergessen… mal von Bildung ganz abgesehen. Ich denke, dass ist ein Problem in Schule allgemein. Fängt ja bei der Frage an, wer da eigentlich Fachleiter*in wird. Vom Hörensagen nur Leute, die in der Schule untergehen… also Menschen, denen man vertraut, richtig guten Unterricht gemacht zu haben… ähm ja. Egal, ich bin in Rage, aber vielleicht brauche ich dazu mal einen eigenen Blog.
Viele Grüße
Hey Emily,
wenn ich soetwas lese, dann frage ich mich immer wieder, warum Menschen so mit Menschen umgehen und warum es keine Feedback-Kultur gibt, die unter Umständen auch personelle Konsequenzen zieht.
Das scheint aber eine systemimmanentes Problem zu sein. Aus diesem Grund möchte ich Dir nochmal die Punkte ans Herz legen:
Bleib Du und verdrehe Dich nicht! // Bleib offen und verändere Dich! // Befrage Deine Schülerinnen und Schüler zu Deinem Unterricht – das sind die wahren Spezialisten! // Plane Deinen Unterricht immer3 so, dass Du nach dem Unterricht in den Spiegel gucken kannst und Dir selbst sagen kannst, dass Du alles so gut Du kannst gemacht hast. // Passe Deinen Unterricht nur nach den Vorlieben der Beobachtenden an, wenn Du der festen Überzeugung bist, dass das was Du tust, den Lernenden hilft. // Spiele mit den didaktischen Modellen, den Methoden herum. Probiere aus und reflektiere!
Bleibe Du und lasse Dich nicht verdrehen. Versuche zu verstehen, was die anderen dir sagen wollen und werde nicht müde nachzufragen, wenn Du es nicht verstehst.
Für Deinen eigenen Blog: https://de.wordpress.com/ <- schnell und einfach einsteigen 🙂