Vor einiger Zeit erreichte mich eine E-Mail eines ehemaligen Referendars, in der er schilderte, dass er seinen Elan aus dem Referendariat noch immer hochhalten könne, er jedoch ein Phänomen bei seinen Klassen entdeckt habe, für das er noch keine Lösung habe.
Die Schülerinnen und Schüler sind in der Einführungstunde1zu einem neuen Thema in der Regel hoch motiviert und arbeiten gut und interessiert mit. In den folgenden Stunden sinkt diese Motivation der Schülerinnen und Schüler dann leider auf ein Minimum. Die Frage nach dem Hochhalten der Arbeitsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler stand im Raum.
Um mich dem Thema zu nähern, möchte ich zunächst eine Beobachtung schildern, die ich in meinem täglichen Geschäft erkannt habe und als These so klingt:
Dem Einstieg einer Unterrichtseinheit wird eine verhältnismäßig große Aufmerksamkeit geschenkt, ohne den langfristigen Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler im Auge zu haben.
Meine Beobachtungen
Man sieht häufig Stunden die mit einem medialen oder gedanklichen Knall beginnen. Probleme werden aufgeworfen, Phänomene aufgezeigt, Situationen aus dem Alltag beschrieben, szenische Spiele2 veranstaltet, Videos gezeigt und und und…
Dieser Knalleffekt ist häufig nicht mehr als der Name vermuten lässt: Ein Knall, eine Bombe und dann – Stille. Ein Bombeneinstieg und dann: Unterricht nach Plan. Sicherlich guter Unterricht, aber eben nicht so interessant, wie der bomb(en)astische Einstieg.
Im alltäglichen Geschäft geht es aber gerade um die Zeit, in der hier die Stille herrscht. Es geht darum, die Schülerinnen und Schüler am Thema zu halten und dieses interessant erscheinen zu lassen. Doch diese Diskussion scheint es in der Tat nur sehr selten zu geben:
- Wie halten wir die Schülerinnen und Schüler bei der Stange?
- Wir erreichen wir einen Weg, des Lernens, der gerne oder wenigstens ohne Widerstand beschritten werden kann.
Wie im kleinen, so im großen
Wenn man sich heute im Netz umschaut, da geht es in der Diskussion um Schul- und Unterrichtsentwicklung in den seltensten Fällen um das Lernen der Schülerinnen und Schüler, sondern sehr häufig nur um den Einsatz von Medien und um Digitalisierung!!11!!!11eins!elf!!:
- Welches WLan wann und wie in den Klassen erreichbar ist und
- Welche App für die Kinder ganz toll ist.
- Wie bekomme ich einen Sponsor, der mir die Tabletts bezahlt oder3
- wie erreiche ich eine BYOD-Kultur?4
- Was brauchen Schulen an elektronischer Ausstattung, damit sie erfolgreich sind?
- Was muss noch gekauft werden, damit die Schülerinnen und Schüler endlich lernen?
Allen diese Gedanken sind aus meiner Sicht in den häufigsten Fällen Knalleffekte. Keine Klasse lernt besser, nur weil ein digitales Whiteboard5 in der Klasse steht. Kein Lernender lernt besser, nur weil die Schule von Apple gesponsert wird. Es geht so selten um das Lernen der Schülerinnen und Schüler, dem Kerngeschäft unserer Zunft, sondern mehr und mehr um das Klappern, das zum Handwerk gehört – nur leider wird es immer mehr zum Klopfen und Trommeln in einer in sich geschlossenen Welt, um zu demonstrieren, wer der Chef im Ring ist.
Yin und Yang
Die Überbewertung der Einstige muss in meinen Augen abgeschafft werden. Sicherlich ist es gut, richtig und wichtig den Lernenden eine Thematik schmackhaft zu machen und die Gehirne der Lernenden kognitiv zu aktivieren.
Wir müssen offene Fragen in den Raum stellen, wir dürfen Probleme nennen und die Schülerinnen und Schüler einladen, daran zu arbeiten. Doch wenn ich immer mit einem Knall starte, ist die Haltung der Konsumierenden ebenso auf einem hohen Niveau, wie die Spannung, die erzeugt wurde. Wenn diese Spannung und Begeisterung des Einstiegs dann abflacht, werden die Erwartungen der Lernenden nicht erfüllt und die Motivation, sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen sinkt.
Was bedeutet das nun für den Alltag?
Alle klug daher geredet, aber was soll denn nun im Unterricht passieren?
Einstiege kleiner halten
Ich bin ein Freund von ritualisierten Einstiegen. Die Lernenden erleben eine geschlossene, bekannte Struktur, in der sie sich wiederfinden. Gerade im Schulsystem, in dem die Fächer nacheinander am Tag abgearbeitet werden, ist es wichtig für die Lernenden nicht zu wissen, welches Fach/ Thema gerade dran ist, sondern es erleben.
Wenn man mal einen Einstieg macht, der knallt und zischt, dann ist das sicherlich nicht verboten. Ich muss mich als Lehrperson nur nicht für jede Stunde oder jedes Thema auf die Suche nach einem solchen Knall machen.
Durch das Warum antreiben lassen
Der Lernstoff ist für die Lernenden in der Regel immer irgendwie relevant.6 Und exakt diese Relevanz gilt es deutlich zu machen. Das WARUM kann eine wunderbare Antriebsfeder für die Lernenden sein. Wenn man weiß, warum man etwas tut, dann geht es einem einfacher von der Hand und man kann schneller an das eigentliche Ziel kommen.
Dazu fällt mir immer wieder ein, wie ich einst meinen Lehrer für Mathematik vor dem Abi7 fragte, was man eigentlich mit dieser Integral-Berechnung machen würde. „Marcel, dass brauchst DU nicht wissen, das machen die im Leistungskurs. Du musst es nur berechnen können.“ Ich weiß bis heute nicht, was ich da warum berechnet habe und ich kann es sicherlich auch nicht mehr. Nachhaltigkeit – Nicht zu finden.
Reflexion, Reflexion, Reflexion
Damit sich dieses Warum tief verankern und setzen kann, ist die Reflexion im Unterricht ein aus meinen Augen viel zu wenig im Alltag etablierter Bereich von Unterricht. Die Reflexion kann und darf nicht nur auf den Lerngegenstand erfolgen, sondern auch auf alle anderen, zu fördernden Kompetenzbereiche: Sozialkompetenz, Medienkompetenz, Methodenkompetenz, Selbstkompetenz etc.
Dabei kann man sich entweder das Produkt, als das, was hinten herausgekommen ist, angucken oder den Prozess, also den Weg dahin.
Fazit
Macht einfach lernförderlichen Unterricht und legt den Fokus nicht auf die überbewerteten Einstiege!
- Hier geht es in der Regel um Mathe und technischen Unterricht. [↩]
- Manchmal auch Rollenspiele. [↩]
- In der Regel sollen es dann die tollen iPads sein. [↩]
- Bring your own device [↩]
- Obwohl die Teile eine riesigen Vorteil haben: https://www.joeran.de/interaktive-whiteboards-iwb-vorteil/ [↩]
- Ich weiß, dass das eine gewagte These ist, aber die Lehrpläne gibt es nicht nur aus Gutdünken, sondern sollen ja eine gewisse Relevanz aufzeigen, welche Themen und Kompetenzen wichtig sind. Gerade in der beruflichen Bildung ist das in der Regel der Fall. [↩]
- Mathe als drittes Abi-Fach [↩]
Hauptschulblues stimmt Ihnen zu!
Das freut mich sehr.
Yeah! Das entspannt irgendwie. Das Warum zu finden ist, dank Lehrplan, ja nicht immer einfacher als Zisch – Bumm und Peng. Aber es ist vermutlich nachhaltiger.
Wenn ich im Referendariat für Entspannung sorgen könnte, dann freue ich mich sehr. ?