Immer und überall hört man im schulischen Kontext den Begriff der Kompetenz. Selbst TV-Sternchen lassen sich darüber aus und kritisieren ihn, auch wenn sie nicht genau wissen, worüber sie sprechen. Ich habe mich gewagt, meine Gedanken zum Thema zu verschriftlichen. Natürlich freue ich mich auf eine sachliche Diskussion und einen kollegialen Austausch zu meinen Thesen und Gedanken.
Nach Weinert
Eine der gängigsten Definitionen des Komptenzbegriffes ist der nach Franz E. Weinert. In vielen Bildungsplänen ist dieser verankert, wenn es um die Kompetenzorientierung des Unterrichts geht.
Franz E. Weinert definiert Kompetenzen als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen [die willentliche Steuerung von Handlungen und Handlungsabsichten] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“. (Franz E. Weinert (Hrsg), Leistungsmessungen in Schulen, Weinheim und Basel, 2001, S. 27f) ((https://lehrerfortbildung-bw.de/faecher/deutsch/gym/fb1/01_ueberblick/kompetenz.htm – Abruf: 2016-10-07 ))
Es geht also um erlernbare oder bereits verfügbare Fähigkeiten und Fertigkeiten, um Probleme zu lösen. Das Individuum (in unserem Fall der Lernende) muss auch die Lust haben, dieses Problem lösen wollen – wenn es die nicht hat, dann scheint auch keine Kompetenz vorhanden zu sein.
Im günstigsten Sinn heißt das in der Praxis wohl, dass die Schülerinnen und Schüler im Unterricht neues Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Methoden ((Im Folgenden „Wissen und Können“ genannt.)) erlernen und diese im Unterricht ausprobieren, anwenden und auch reflektieren. Das ist gut, sinnvoll und machbar, hat aber nichts damit zu tun, ob eine Kompetenz im Unterricht sichtbar wird!
Eine echte Kompetenz zeigt sich nämlich erst in einer konkreten Situation (dem Problem), in der eine Anwendung des Wissens und des Könnens statt findet. In der Schule gibt es in der Regel keine konkreten Situationen, sondern nur künstliche Situationen in denen Wissen und Können „abgefragt“ wird. Konkrete Situationen wird es in der Schule nie oder nur sehr selten geben.
Die Lehrkraft ist also in den seltensten Fällen in der Lage, eine echte Kompetenz zu beobachten. Sie sieht immer nur Handlungen des Lernenden von der Rückschlüsse auf eine vermeintlich vorhanden Kompetenz gezogen werden. Bleibt somit den Lehrenden und Bewertenden nichts anderes übrig, als bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten zu überprüfen und zu bewerten, um für die erbrachten Leistungen letztendlich Noten zu geben.
In der Praxis
Wenn die Schülerinnen und Schüler aber gar keine Kompetenz in ihrem Unterricht zeigen können und Lehrende diese nicht bewerten können, warum arbeiten wir dann kompetenzorientiert? Reicht es dann nicht, Wissen zu vermitteln?
Ich sage nein und mache an einem Beispiel deutlich warum und komme dann zu der Wahl der Begrifflichkeit des kompetenzorientierten Unterrichts.
Das Beispiel
Ein Kampfkünstler der jahrelang im Training die verschiedensten Techniken, Methoden und Einstellungen trainiert, kann im Dojo ((Trainingsraum)) einer der besten Kämpfer sein. Er kann sogar andere trainieren, Tipps und Tricks geben, wie man besser wird und wie man sich in einer bestimmten Angriffssituation zu verhalten hat. Im Training trainiert er auch Stresssituationen, in denen man sich unter körperlichen und physischen Druck gegen Angreifer verteidigen muss – gerne sind auch mehrere Angreifer oder (Trainings-)Waffen im Spiel.
Die echte, richtige und wahre Kompetenz zeigt sich bei diesem Kampfkünstler erst, wenn er nachts auf einem Parkplatz überfallen wird und sich verteidigen muss, es also um Leib und Leben geht! Da kommt dann alles zusammen: die Fähigkeiten, Fertigkeiten, das Wissen und die innere Einstellung, sich zu verteidigen und jemanden anderen verletzten zu wollen oder zu müssen.
Würde man diesem Kampfkünstler nur die einzelnen Techniken zeigen und unter Umständen theoretisch erklären und Trainingssituationen weglassen, liefe die Wahrscheinlichkeit, dass er sich in einer echten bedrohlichen Situation zielgerichtet verhält, gegen null.
In der Schule
Nun stellt sich die Frage, wie wir das nun im Unterricht handhaben sollen und können. Die Schülerinnen und Schüler, lernen in der Schule Wissen und Können, das notwendig ist, um die im Lehrplan formulierten Kompetenzen zu erreichen. Das heißt aber auch, dass es Phasen des Trainings und der Anwendung geben muss, die immer wieder reflektiert werden müssen, damit sie möglichst nahe an komplexe Situationen, die eine Kompetenz benötigen, herangeführt werden und ihnen so bewusst werden kann, aus welchem Grund Sie diese Dinge erlernen.
Ob eine Kompetenz erreicht wurde, können wir in der Regel im Unterricht nicht überprüfen. Einzig die Kompetenz, eine Aufgabe oder ein Problem im schulischen – also künstlichen Kontext – zu lösen, kann begutachtet werden. Und wenn ein Schüler ein Problem in der Schule hat lösen können, heißt das noch lange nicht, dass er auch in der Lage ist, das angewandte Wissen und Können auch in einer anderen, privaten oder beruflichen Situation zu lösen und diese Fertigkeiten anzuwenden – siehe das Beispiel mit dem Kampfkünstler weiter oben.
Ob ein Lernender eine Kompetenz erlangt hat, kann im Grunde nur er selbst feststellen. Aus diesem Grunde sind Reflexionsaufgaben, Portfolioarbeit, Lerntagebücher etc. von hoher Bedeutung für ein gelingendes Lernen.
Vera F. Birkenbihl – die ja mit dem Schulsystem, wie es besteht, immer auf Kriegsfuß stand – brachte es mal so auf den Punkt, dass sie sagte, die Schülerinnen und Schüler würden in der Schule immer darüber sprechen, wie man Pfannkuchen backt, welche Verhältnisse von Zutaten einen guten Pfannkuchen ergeben und mit welchem Belag er wohl am besten schmecken würde, aber einen echten, realen, duftenden Pfannkuchen würden die Schülerinnen und Schüler in der Schule niemals backen.
Der Projektunterricht
Hier folgt ein kleines Intermezzo zum Umgang mit Definitionen und dem Sprachstil der Pädagogen.
Es gibt in der Pädagogik eine Definition des Begriffes Projektunterricht mit bestimmten Merkmalen, die vorhanden sein müssen, damit man vom Projektunterricht sprechen darf. Nun passiert es immer wieder, dass Kolleginnen und Kollegen mit ihren Schülerinnen und Schülern Unterricht machen, in dem sie ein „Projekt“ machen – aber eben keinen richten „Projektunterricht“…
Also: die Schülerinnen und Schüler merken das nicht, dass es kein Projektunterricht ist, aber die anderen Kolleginnen und Kollegen. Damit man dann aber nicht in die Lage kommt, seinen richtig gut gemeinten und guten Unterricht kaputtgequatscht zu bekommen, nennt man das Ganze eben nicht Projektunterricht, sondern projektorientierten Unterricht – dann kann einem keiner mehr was, denn es ist je nur orientiert an den Projektunterricht, aber es ist eben kein richtiger Projektunterricht.
Worte schaffen Realität
Warum ich das schreibe?
Warum dieses Intermezzo?
Hast Du schon einmal etwas vom Kompetenzunterricht gehört?
Nein?
Eben! Es heißt immer kompetenzorientierter Unterricht und nicht Kompetenzunterricht. Irgendwie fördern wir die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler und irgendwie lernen die auch etwas, aber überprüfen, ob sie echte Kompetenzen erlangt haben, das können wir eben nicht. Also nennen wir das Ganze auch so.
Was sich vielleicht anhört wie ein Vorwurf, soll es gar nicht sein. Denn diese genaue Wahl von Begrifflichkeiten ist nicht verwerflich, sondern ehrlich bis auf die Haut!
Cave! Kein Freifahrtsschein!
Dennoch verbirgt der Begriff der Kompetenzorientierung innerhalb des schulischen Kontextes ein zielgerichtetes und auf Kompetenzen orientiertes Vorgehen – auch wenn wir als Lehrperson nicht in der Lage sind, die zu erreichenden Kompetenzen in Gänze zu überprüfen. Wir sind immer nur in der Lage, bestimmtes Wissen und Können auf den Prüfstand zu erheben und das auch noch in den seltensten Fällen anders, als über die (Schrift-)Sprache.
Wir helfen dem Schüler und der Schülerin, in unserem Fach „Kampfkünstler“ zu werden, bestehende Fähigkeiten werden verstärkt und ausgebaut. Es werden Prüfungen geschrieben, es wird projektorientiert gearbeitet, es werden Präsentationen gemacht, es wird trainiert und es wird reflektiert und wenn man mich fragt: Lasst die Schülerinnen und Schüler ihr Handeln so viel wie möglich reflektieren. Dadurch können Sie sich bewusst werden, was sie können, was sie nicht können, was sie können wollen, ob der Weg dahin bisher gut beschritten wurde oder nicht und so weiter…
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