Als ich letztens mal wieder sinnierend mit dem Hund spazierte, fragte ich mich, warum wir in der Berufsschule eigentlich Noten benötigen? Kann man die nicht wenigstens dort abschaffen? Im Prinzip ja, aber eigentlich doch nicht… Aber eine Vision gibt es am Ende dennoch. 😉
Eine Schule ohne Noten? – Unvorstellbar!
Noten gehören in eine Schule, wie das Amen in die Kirche.
So ist jedenfalls das Selbstverständnis der meisten Menschen in Deutschland. Wenn die Kinder in die Schule kommen und zunächst diese komischen Berichtszeugnisse bekommen, dann werden die Lehrpersonen sicherlich häufig gefragt, welche Note das denn nun wäre. Und wenn die Kinder dann endlich Noten bekommen, muss immer nach einer eins oder zwei gestrebt werden oder andersherum: Mathe konnte ich noch nie, da habe ich immer eine fünf. Durch diese Art der Affirmationen bilden sich Glaubenssätze, die dann sehr schwierig zu überwinden sind. Dabei sagen die Noten nichts über die individuelle Leistung des Lernenden aus.
Wenn ich hier nun weiter meine Gedanken spielen lasse, dann bitte ich Dich zunächst auf die Reise mitzukommen und Deinen Glaubenssatz „In der Schule muss es Noten geben.“ bewusst zu ignorieren.
Welche Funktion haben die Noten in der Schule?
Noten in der Schule sind keine Leistungsrückmeldungen, die dem Lernenden verhelfen können, an sich oder dem Fach zu arbeiten. Noten sind das Werkzeug zur Kategorisierung von Menschen. Hast Du gute Noten – also kannst Du Dich auf das Konstrukt, dass jede Lehrperson vorgibt sehr gut einlassen – bist Du berechtigt einen höheren Bildungsweg einzuschlagen. Hast Du schlechte Noten, dann bleibt dir dieser Weg zunächst verwehrt. Die Sammlung Deiner Noten in einem Jahr entscheiden über Hop oder Top. Egal ob Deine Freundin in dem Jahr Schluss gemacht hat, Dein Hamster gestorben ist, Deine Eltern sich getrennt haben oder die New Kids on the Block ((LOL – kennt die noch jemand?)) sich aufgelöst haben. Der Durchschnitt der Noten entscheidet also, ob Du
- ein Bildungsziel erreichst und
- welches weitere Bildungsziel Du in Angriff nehmen darfst.
Herr Wampfler argumentierte unlängst:
Noten sind eine feige Form von Selektion. Eine Pseudogenauigkeit verhindert, dass jemand entscheiden muss, ob ein Kind Bildungsressourcen genießen darf oder nicht. Man würde erwarten, dass es für solche Entscheide Begründungen braucht – doch auch hier ersetzen Noten das, was pädagogisch angebracht wäre. Generell ist mir völlig unklar, warum es bei Lernprozessen Selektion braucht. ((https://schulesocialmedia.com/2016/05/17/noten-abschaffen/ – Abruf: 2016-05-23))
Die Berufsschule ist da anders
Die Schülerinnen und Schüler in der Berufsschule ((Und ich meine hier nur die Berufsschule, also das Duale System, in dem Schülerinnen und Schüler einen Beruf lernen, nicht aber die mannigfaltigen anderen Bildungsgänge an einer beruflichen Schule.)) streben am Ende einer bestimmten Zeit ((Meistens drei Jahre.)) eine Prüfung an, die sie bestehen wollen, damit Sie den Beruf erlernt haben. Die Noten der Schule sind am Ende der Ausbildung zum Bestehen der Prüfung nicht relevant!
Ein Gedankenspiel
Theoretisch ist es möglich, dass Schüler X in der Berufsschule durchgängig in allen Lernfeldern und Fächern auf einer sechs steht, er seinen Gesellenbrief aber mit 1,0 besteht. Denn im Gesellenbrief stehen nur die Noten der Gesellenprüfung, nicht die der Berufsschule und es zählen nur die Noten der Prüfungen.
Was er sich mit diesem Vorgehen verbaut ist zum Beispiel die Aussicht auf einen mittleren Bildungsabschluss, wenn er diesen noch nicht hat. Sollte er diesen aber schon haben oder sogar das Abitur in der Tasche haben, dann spielen die Zensuren tatsächlich keine Rolle für das Erlangen irgendeines Abschlusses.
Natürlich ist das nur die halbe Wahrheit, denn jeder neue Arbeitgeber wird sich auch die Zeugnisse der Berufsschule zeigen lassen und auf Grund der Diskrepanz zwischen der Noten in der Schule und in der Gesellenprüfung Fragen stellen werden.
Der Grund für diesen skurrilen Sachverhalt ist, dass die Schule und die Prüfung nichts gemeinsam haben und von unterschiedlichen Organisationen durchgeführt werden. In der Regel sind es Kolleginnen und Kollegen von der Berufsschule, die sich im Prüfungsausschuss engagieren, aber rein rechtlich sind es zwei Veranstaltungen, die unabhängig voneinander geregelt sind.
Der oben genannte Schüler kann nicht einmal sitzen bleiben! Schülerinnen und Schüler, die sich in einer Ausbildung befinden können diese zwar verlängern und dadurch freiwillig länger zur Schule gehen, aber ein Sitzenbleiben / Zurücksetzen aufgrund bestimmter Noten oder Leistungen ist nicht vorgesehen.
Und unter dem Strich?!
Im Endeffekt heißt das: Noten sind in der beruflichen (Schul-)Bildung nicht notwendig! Ihre Legitimierung ist einzig ein eventueller allgemeinbildender Schulabschluss.
Noten haben noch nie etwas über einen Menschen ausgesagt. Ein Kollege von mir sagt immer: „Noten sind wie ein Ergebnis eines Fußballspiels, denn das sagt nichts über das Spiel aus. War es spannend? Fair? Unfair? Langweilig?“ Und so verhält es sich auch mit den Noten, diese sagen nichts über die Entwicklung des Lernenden aus.
Ich finde es großartig, dass Auszubildende über den Weg der Berufsausbildung einen höheren Schulabschluss erlangen können. ((Es ist sogar möglich, unterstützt durch Abendschule, die Berechtigung zum Besuch einer Hochschule zu bekommen.)) Dieses Vorgehen sollte aber in einem anderen Setting geschehen, damit eine Entwicklung der Schülerinnen und Schüler gefördert werden kann, die nicht darauf abzielt, bullemieartig für Klausuren zu lernen und sich an Handlungsprodukten auszutoben, sondern tatsächlich ein anderes Ziel in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler zu etablieren. Es geht darum fachlich fit zu werden und ein guter Bäcker, eine gute Friseurin, eine gute Mechatronikerin oder ein guter PTA zu werden.
Und noch weiter reduziert geht darum, die Prüfung zu bestehen. Das Ergebnis interessiert hinterher die Wenigsten. Oder fragst Du den Handwerker, der zu dir kommt, mit welcher Note er seine Gesellenprüfung bestanden hat, lässt Du Dir von Deinem Friseur die Berufsschulzeugnisse zeigen, fragst Du den Taxifahrer, mit wie vielen Fehlern er seinen Führerschein gemacht hat? In der Regel doch wohl nicht. Wenn man die Prüfung bestanden hat, hat man sie bestanden!
Und meine Ideen…
Wenn Du Dich jetzt fragst: Klug daher reden kann jeder, aber hast Du denn auch Ideen? Muss ich leider mit einem klaren Ja-ein antworten.
Da es (wie in er Einleitung geschrieben) nur ein flüchtiger Gedanken auf einer abendlichen Runde mit dem Hund war, bin ich weit davon entfernt eine Lösung zu haben. Aber einen gedanklichen Ansatz habe ich schon: Lernfeldprüfungen, ähnlich wie in den Kampfkünsten.
In den meisten mir bekannten und von mir praktizierten Kampfkünsten und Kampfsportarten gibt es in regelmäßigen Abständen Prüfungen. Zu diesen Prüfungen wird hin trainiert. Man bekommt im Unterricht neue Techniken, neues Wissen offenbart und lernt und übt diese anzuwenden. Wenn man selbst und der Trainer ((Sifu, Sensei, Sihing… jenachdem wo man sich gerade befindet.)) der Meinung sind, eine Prüfung zu schaffen, dann meldet man sich an und zeigt das, was man gelernt hat. Diese Prüfung hat man entweder bestanden oder nicht. Nicht mit einer eins oder einer zwei, sondern: bestanden.
Wenn man sich durch die Anzahl der Schülergrade durch gekämpft hat, steigt man in die Meisterklasse ein. Im Falle der Berufsausbildung: Wenn ich alle Lernfelder bestanden habe, dann werde ich Geselle.
Das System ist alles andere als durchdacht, ist aber eine Idee, die es in meinen Augen zu verfolgen gilt.
Die Vision
Wenn wir dann endlich ein Schulsystem haben, das diese Noten abgeschafft hat und wir nur gute Ergebnisse mit diesem Vorgehen produzieren, werden die allgemeinbildenden Schulen, Universitäten, Studienseminar etc. folgen. Eine Welt in der das Lernen und nicht die Note im Mittelpunkt steht. Ach, wäre das schön.
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