Ich komme aus der OpenSource-Szene. Mein letztes alternatives Betriebssystem, dass ich genutzt habe, war Windows 95. Seit dem kommt bei allen Rechnern in meinem Haushalt nur GNU/Linux zum Einsatz. Ich arbeite aber nicht nur mit offener Software, sondern auch mit geschlossener, proprietärer Software, wenn ich keinen guten Ersatz in der offenen Welt finde. Ich würde mich somit nicht als Extremer, sondern ein Realo bezeichnen. 😉
Seitdem ich mit GNU/Linux arbeite, wird immer wieder der Durchbruch auf dem Desktop prophezeit. Irgendwie ist das wie mit den Weltuntergangspropheten; die schreien laut, aber passieren tut nichts. Linux hat noch immer ein Nischen-Dasein. Leider.
Ich will mich nicht im Einzelnen darüber auslassen, wieso das so ist und was ich dazu denke. Vielmehr möchte ich nach einer Querverbindung zu der Schrei nach OER, der durchs Netz (be-)geistert, suchen.
Die Wortähnlichkeit
Open Source und Open Educational Ressources haben beide den Begriff OPEN inne. Dieses wird nicht immer eindeutig verstanden. Es geht in der Regel um den deutschen Begriff frei. Man ist frei von einschränkenden Lizenzen, i. d. R. frei von Geldern und man ist frei, mit dem Material oder dem Programm zu machen, was man will.
Die Idee
Durch diese Freiheiten wünscht man sich einen Nutzen der da draußen liegenden Kompetenzen. Die Fachleute –die Denker– sollen das, was sie entwickeln, der Allgemeinheit freigeben, damit die Sachen dann genutzt werden können. Gerne soll man ein direktes Feedback geben, um die Produkte besser werden zu lassen. Im Zweifel dann vielleicht anfangen, diese selbst zu verändern. Und es gibt immer eine Handvoll Menschen, die Feedback geben und noch weniger, die die Projekte forken.1
Das eine Prozent
Landläufig wird behauptet, dass von den Menschen, die Wikipedia nutzen, nur ein 1 % irgendwann mal eine Änderung vornehmen. Viele wissen nicht wie das geht, die Hürde ist dann doch zu hoch und dann bleibt der Fehler eben stehen.
So ist es auch mit dem OER-Phänomen – Einige wenige stellen die Daten ins Netz und noch weniger nutzen das Ganze.
Dann ist es gerade in dem Bereich der beruflichen Bildung nicht immer einfach, an gutes und geeignetes Bildmaterial zukommen, das verwendet werden darf.
Die Plattform
Viele schreien im Netz nach einer Plattform, auf der die Materialien gesammelt und zur Verfügung gestellt werden müssen, damit man diese auch findet. Denn bevor ich Stunden im Netz verbringe, um Analysen und Unterrichtsmaterial zu einer Ballade zu finden, nehme ich doch eher das Schulbuch zu Hand. Alles fertig – aufbereitet und direkt einsetzbar.
Klar, darf ich das nicht so richtig kopieren, aber Inspirationen holen, das Buch unter eine Dokumentenkamera legen — das darf ich.
Die Verfechter von OER rufen im Netz nach einer Möglichkeit von Verschlagwortung der Bildungsmaterialien, sodass sie im Netz gefunden werden können. Metadaten eben… Großartige Idee, aber auch hier muss der einzelne Lehrende aktiv werden und sich die Dinge zusammensuchen und der Erstellende muss die Daten auch verschlagworten.
Distributoren müssen her …
Wie läuft es in der OpenSource-Welt?
Im Bereich des GNU/Linux-Betriebssysteme gibt verschiedene Distributoren, die sich die Programme aus dem Netz suchen und zusammenstellen, sodass man als Benutzer diese Arbeit nicht machen muss. Ein Vorteil dieses Vorgehen ist, dass eine Distribution in der Regel ein Paketsystem nutzt, über das man zentral Programme (nach-)installieren kann. Das System übernimmt dann Updates und Versionssprünge. Neuerdings sagt man dazu „App-Store“ oder „Play-Store“.2
Hier gibt es verschiedene Distributionen, die je nach persönlichem Geschmack gewählt werden können.3 Es gibt Distros für Minimalisten, Musikmachende, Sicherheitsexperten, Newbies, Windows-Freunde, politisch Überzeugte, etc.
Im Prinzip kann man alles bei allen Distributionen nachinstallieren und nutzen, die Vorauswahl, die Implementation, die Benutzung, das Aussehen ist immer etwas anders.
Und nun OER
Nun müsste es solche Gemeinschaften doch auch für die OER-Materialien geben. Distributoren, die sich durch die Tiefen des Internets wuseln und sich Materialien zusammensuchen, die dann als Gesamtobjekt zusammengestellt werden und von den Kolleginnen und Kollegen genutzt werden können. Distributionen zu folgenden Themen und Bereichen könnte ich mir vorstellen:
- Primarstufe
- Sekundarstufe
- Oberstufe
- Ausbildungsberufe
- FOS / BOS
- BFS
- etc.
Gerne alles schön in Fächern unterteilt, differenziert, gerne auch projektorientiert, fächerübergreifend und auf jedem Betriebssystem und Endgerät einsetzbar.
Nun treten aber Probleme auf:
- Woher bezieht man die einzelnen Materialien?
- In der OpenSource-Welt sind die Projekte häufig in gits gespeichert
- Bei OER ist vieles auf privaten Servern, manches in Lernsystemen hinterlegt, anderes bei Bildungseinrichtungen oder auch bei NGOs.
- Wie können die unterschiedlichen Materialien unter einer Oberfläche zusammengefasst werden?
- Bei einem Betriebssystem nicht schwierig, da das Drumherum geliefert wird.
- Die Materialien müssen aber auf allen Rechnern, Endgeräten, PLEs und digitalen Tafeln funktionieren.
- Wie können die Materialien für Schülerinnen und Schülern und Kolleginnen und Kollegen getrennt werden?
- Sollte so eine Distribution also eine Webseite sein, auf der man sich anmelden muss?
- Wie sieht es dann mit dem Datenschutz aus?
Wie auch immer. Diese Gedanken sollen nur anregen und sind nicht zu Ende gedacht. Eine Art dieser Distributionen würde sicherlich die Welt der OER zugänglicher für den oder die Otto-Normal-Verbraucher/in machen. Ein irres langes Suchen im Netz, um seinem politischen Gewissen zu genügen, macht es schwer für OER eine Lanze zu brechen und hindert einen selbst auch daran, diese Materialien zu nutzen.
Vielleicht aber auch Thema für das anstehende OERCamp 2024 in Hamburg.
- Ein Projekt wird zunächst kopiert und dann weiterentwickelt. Eines der berühmtesten Forks ist wahrscheinlich LibreOffice – Ein Fork von OpenOffice [↩]
- Mein erstes GNU/Linux war SuSE-Linux und dort übernahm diese Aufgabe unter anderem YAST (Eigentlich waren es rpm-Pakete und das Tool rpm). [↩]
- Wer sich einen Überblick über die Menge der Distribution verschaffen möchte, kann sich gerne mal auf Distrowatch austoben. [↩]
Schöne Verbindung zwischen OpenSource und OER. Danke dafür.
Bei den gewünschten OER-Distributionen, die du beschreibst, habe ich mich ein bisschen an die Fachportale von Wir Lernen Online erinnert (https://wirlernenonline.de/fachportale/). Vielleicht lässt sich deine Idee in solch eine Richtung weiter entwickeln?
Ich danke ebenfalls für’s Aufzeigen der bestehenden Analogie zwischen OpenSource und OER.
Eine Übertragung des Distributionskonzepts von FOSS auf OER klingt plausibel. Notwendig wären dafür aus meiner Sicht neben haupt- und ehrenamtlichen „Ressourcen-Produzent*innen“ dann jedoch vermutlich auch „hauptamtliche Entwickler*innen“, wie bspw. bei größeren Distributionen à la Debian, RHEL oder Ubuntu … die die Paketierung, Pflege und Aktualsierung nicht nur nebenher erledigen?
Neben dem Distributionsgedanken muss ich bei OER zwangsläufig auch an das Fediverse bzw. ActivityPub denken. Hier werden verschiedenste Dinge dezentral vorgehalten und doch übrr eine einheitliche Schnittstelle miteinander „kompatibel“ gemacht. Vielleicht bräuchte es eine Art „EducationalPub“? Ein einheitliches Protokoll, das unterschiedliche OER-Instanzen (mit unterschiedlichen Schwerpunkten) miteinander föderieren lassen kann und das die dezentralisiert vorgehaltenen Ressourcen durchsuch- und bündelbar machen kann. (Ähnlich der im Beitrag skizzierten Verschlagwortung.) Optisch schwebt mir in dem Zusammenhang zu guter letzt für die OER-Suchenden sowie -Nutzenden noch eine Art „EducationalGraphView“ á la Obsidian vor …
Nun aber Schluss mit den vagen Gedanken! 😉
Ja, sehr interessant. Mir ist die Frage nach dem Format am wichtigsten. Müssen die Materialien denn wirklich auf allen Rechnern und Endgeräten und digitalen Tafeln funktionieren? Da bleiben nicht viel Formate übrig.
Ja, das ist genau die Problematik. Denn der Wildwuchs in der Landschaft der Formate hindert ja häufig den Einsatz für andere. Nicht unlängst fragte mich eine Kollegin, ob ich ihr meine Präsentation nicht als Powerpoint zuschicken könne, da sie sie nur als PDF habe. Da musste ich sie leider enttäuschen, da ich nur md-Dateien habe. Damit kann sie aber nichts fangen.
Somit müsste man sich entweder auf einen Nenner einigen oder aber eine Suche mögliche sein, die Dateiformate und / oder zu nutzende Plattformen mit einbezieht.